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Tranceerlebnisse auf Bali

»Welt der Trance«

 

Günter Spitzing ist in engen Kontakt zu zahlreichen Trance-Ereignissen gekommen. In Welt der Trance nimmt er uns mit in diese verborgenen, spirituellen Sphären. Eine der dargestellten Kulturen, die uns der Autor mit seinem großen Erfahrungsschatz näher bringt, ist die Insel Bali. Lesen Sie zwei Episoden aus seinem Buch.

von Günter Spitzing, vorgestellt von InMaOn / JH

 

Balinesische Pendet-Tänzerin in Trance. Die Augen sind halb geschlossen; Bildquelle: Günter Spitzing

 

 

Tranceereignisse gelten weithin lediglich als spektakuläre Schauspiele. Doch es steckt wesentlich mehr dahinter. Trance spielt eine herausragende Rolle für das kulturelle und religiöse Leben vieler Völker. Günter Spitzing blickt dabei auf jahrelange, tiefgehende Erfahrungen und Studien über die Lebensweise und Bräuche von verschiedenen indigenen Völkern.

 

Das Buch eröffnet uns einen lehrreichen und lebendigen Einblick in die für uns eher unbekannte, verborgene Welt der Trance. Spitzing versteht es, mit seinem herrlich erfrischenden, unkomplizierten Schreibstil komplexe Sachverhalte und Vorgänge gut verständlich darzustellen.

 

Neben wissenswerten, allgemeineren Ausführungen über die verschiedenen Aspekte und Spielarten von Trance, konzentriert er sich in weiten Teilen des Buches auf persönlich Erlebtes und intensive Tranceereignisse. Die Begegnungen mit Trance-Ritualen beziehen sich auf die Kulturräume Bali, Südindien und Brasilien. Anschaulich untermalt wird das Thema mit ausdrucksstarken Fotos.

  

 »Ich bin erstmalig in Bali in enge Berührung mit Trance gekommen. Persönlich wurde das Thema dann, als ein sehr guter balischer Freund von mir in persönliche Turbulenzen geriet. Er war mit einer Europäerin verheiratet, die ihn nach sechs Jahren, sehr glücklichen Jahren, verließ. In seiner Not wandte er sich auf einem nahe gelegenen lnselchen, während eines Tempelfest, an Ratu Gede Tengahing Segara. Ich hatte ihn dabei begleitet und erlebte dort eine wahre Welle von Trance-Ereignissen. […] «

 

Über Spitzings Begegnung mit Trance auf Bali lesen Sie dazu die Episoden – »Die Gottheit badet im Meer« und »Aus Made spricht sein Vater«.

 


 

Die Gottheit badet im Meer

 

In Tibu Biu, einem Dorf unweit von Tabanan befindet sich der Tempel einer Großfamilie (Clan), ein sogenanntes Pura Panti. Er besteht aus zwei Höfen. Der innere enthält die Schreine von Ratu Betara Gede, des Herrn über die Insel Nusa Penida, sowie von Dewi Saraswati. Sie ist die Gottheit der schönen Künste und der Literatur. Der Festtag der Göttin findet im Rahmen des kurzen Bali-Jahres alle 210 Tage statt. An ihrem Tag verlässt Dewi Saraswati, getragen in einer Art von Sänfte, den Tempel. Die Göttin wird in diesem Fall nicht, wie sonst üblich, als menschliche Figur mit sechs Armen dargestellt, sondern durch Lontar Bücher repräsentiert. Das sind traditionelle in Südost- und Südasien verbreitete Bücher, deren Seiten aus den Blättern der Lontarpalme bestehen. Begleitet wird sie von Ratu Betara Gede in Gestalt einer riesigen Furcht einflößenden Figur, eingehüllt in Weiß und Schwarz gewürfelte Tücher (saput poleng). Der schon vor dem Aufkommen des Hinduismus in Bali verehrte Gott vermag Gutes wie Böses zu bewirken. Er kann die Cholera als Seuche unter den Menschen verbreiten, kann aber auch die Krankheit heilen.

 

Beim Verlassen des Tempels werden Ratu Gede und Dewi Saraswati von einem guten Dutzend Frauen unterschiedlichen Alters begleitet, die ihnen zu Ehren den Tari Pendet tanzen. Einige von ihnen sind schon im Zustand der Trance. Das ist zu erkennen an ihren halbgeschlossenen Augen und unkoordinierten Bewegungen.

 

Es bildet sich eine Art von Prozession. Zuvorderst werden die Gottheiten getragen, dahinter reihen sich die aus dem Tempel herausströmenden Clanmitglieder ein. Es geht in Richtung Küste. Nach einer halben Stunde ist das Meer erreicht. Die Sänfte und die Figur des Riesen werden am Strand abgesetzt. Eine Opferzeremonie beginnt. Dann ergreifen Träger die Sänfte und tragen sie ins flache Wasser hinein. Feierlich schreiten sie dreimal im Kreis herum. Dewi Saraswati nimmt ihr Bad. Dann steigen sie aus dem Wasser heraus. Ratu Betara Gede auch Betara Tengahing Segera genannt, wird wieder hochgenommen. Der Zug formiert sich neu für den Heimweg. Weihrauch steigt auf zum Himmel. Die Träger und ihre Begleiter verfallen in zuckende Bewegungen und in unartikuliertes Grimassieren. Sie sind, von den Gottheiten ergriffen, in heftige Trance verfallen. Dieser Zustand hält über den gesamten Rückweg an. Vor der Tempelpforte werden sie von den Frauen erwartet. Sie führen wieder einen Begrüßungstanz aus. Der Zug ist nun ganz nahe vor ihnen. Wieder werden, diesmal fast alle ekstatisch von den Gottheiten ergriffen. Schließlich durchschreitet der Zug das Tempeltor, um die Gottheiten wieder zurück an ihren angestammten Sitz zu bringen.

 

Pura Panti - Ahnentempel einer Großfamilie; er besteht aus einem Vorhof und einem Innenhof mit den Schreinen von Gottheiten. Panyimpanan ist ein Schrein, in dem die Repräsentation der Gottheit aufbewahrt wird - die Figur von Ratu Gede, sowie die Lontarbücher für Dewi Saraswati. In weiteren als Palinggih (Sitz) bezeichneten Schreinen verweilen die Ahnherren der Anhänger des Pura, Betara Api, der Herr des Feuers und Dewi  Saraswati. Der kleine Schrein oben ist für den Taksu bestimmt, den Geist des Bodens, auf dem der Tempel steht. Padmasana, der zum höchsten Berg Gunung Agung ausgerichtete Lotusthron, wird an den Festtagen zum Sitz Siwas in seiner Erscheinungsform als Sonnengott. (Info von Manku Sudarsa); Quelle: Günter Spitzing

 

 


Anmerkungen zur Episode

 

Ratu Betara Gede | Vorhinduistsiche, doch auch heute noch stark verehrte Gottheit. Schickt Cholera als Strafe, beschützt aber auch davor und heilt sie. Der Name bedeutet »König, großer Gott«. Weil die Insel Nuas Penida als sein Wohnsitz gilt, wird er auch Betara Tengahing Segera, Gottheit inmitten des Meeres, genannt.

Saput poleng |: Das »bunte Tuch« ist ein schwarz und weiß geschachtetes Tuch. Es weist auf das Prinzip der Bali-Kultur rua bineda (die zusammengehörigen Zwei, die verschieden sind) hin.Das Muster ist überall gegenwärtig. Die Tempelschreine sind damit geschmückt und auch Schirme sind mit saput poleng bespannt.

Lontar-Buch | Traditionelles Bücher aus getrockneten Segmenten von Blätter der Lontar-Palme.Die balischen bzw. altjavanischen Schriftzeichen werden eingeritzt und mit Ruß nachgeschwärzt.

Tari Pendet | Begrüßungstanz

 

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Aus Made spricht sein Vater

 

Sein Vater war bereits vor vielen Jahren verstorben und in einem feierlichen ngaben (cremation, Verbrennungsfeier) eingeäschert worden. Nun saß Made mit Cousins und anderen Verwandten zusammen. Sie tranken Kaffee und unterhielten sich. Anlass für ihr Treffen war eine Familienfeier. Einem Vetter, der gerade die Pubertät erreichte, wurden die Zähne gefeilt. Die Zahnfeilung (Volkssprache masangih, Hochsprache: mapandes) in Bali ist ein Ritus, der den Übergang vom Kind zum Erwachsenen markiert (und hat einen Sinn, der dem der Jugendweihe beziehungsweise der Konfirmation bei uns entspricht). Bei Mädchen wird sie nach der Erstmenstruation vollzogen. Sechs obere Eck- und Schneidezähne werden von einem Priester ebenmäßig gefeilt, wobei heute das Feilen nur noch symbolisch angedeutet wird. Dadurch sollen dem Menschen innewohnende, als negativ eingeordnete Leidenschaften, wie Wut, Habgier, Lüsternheit, Trunksucht, Unvernunft und Eifersucht gebändigt werden. Die Feier selbst wird normalerweise von einer größeren Anzahl von Familien mit Jugendlichen im entsprechenden Alter gemeinsam begangen. Die Menschen sind bei einem solchen Anlass festlich gestimmt. Davon wurde nun auch Made ergriffen. Als die Klänge eines Gamelans ertönten, fiel Made in Trance. Und dann kam es aus ihm heraus – die Stimme seines Vaters. Die klang zornig und machte Mades Verwandten lebhafte Vorwürfe, unter anderem weil sie sich über die Nutzung eines von ihm hinterlassenen Gartens nicht einigen konnten. Es war heftig, was des Vaters Stimme so von sich gab. Doch dann endet auch diese Philippika und Made brach zusammen. Die Verwandten gaben ihm etwas zu trinken, wuschen ihm das Gesicht und holten Made allmählich in die Welt des Bewussten zurück.

 

Die Kultur Balis lässt nicht zu, dass starke Gefühle, vor allem aber negative Emotionen gezeigt werden. Hätte Made selbst seinen Verwandten lautstark die Leviten verlesen, wäre das gar nicht gut angekommen. Er hätte sich damit ausgegrenzt aus der Gemeinschaft. Die Zornesorgie in Trance jedoch wurde von den Betroffenen geschluckt. Wird eine Situation so unhaltbar, dass sie unbedingt nach den in Bali verpönten deutlichen Worten verlangt, so kann so ein Tranceereignis einen Ausweg bieten. (Ich kann mir gut vorstellen, dass dadurch auch die Gefahr eines Amoklaufes verringert wird.)

 


Günter Spitzing ist seit 1979 viele Male in Bali gewesen und hatte dort häufig direkten Kontakt zu Trance-Ereignissen. Im Folgenden eine kleine Auswahl beeindruckender Aufnahmen von solchen Begebenheiten

 

 

Die Statue von Ratu Gede.
Bildquelle: Günter Spitzing
Ratu Gede Tengahing Segara, der große Herr inmitten der See, ist eine barongähnliche Figur. Sie wird im balinesischen Tibu Biyu am Saraswati-Tag in einer Prozession zum Meer getragen. Wenn die Figur schwankt, zeigt das, dass der Träger in Trance gefallen ist.
Bildquelle: Günter Spitzing
Balinesische Pendet-Tänzerin in Trance. Die Augen sind halb geschlossen.
Bildquelle: Günter Spitzing
Ratu Gede wird, begleitet von einer langen Prozession, zur See gebracht.
Bildquelle: Günter Spitzing
Wayang Kulit (Schattenspiel) zu einer sehr selten aufgeführten Cupak-Geschichte. Der Dalang (Schattenspieler) fällt während des Spiels in Trance und bestreitet in diesem Zustand die Vorführung. Die Aufnahme zeigt die Situation hinter dem Schirm.
Bildquelle: Günter Spitzing
Ekstatische Heilerin aus Ubud in Trance. Sie verkündet in diesem Zustand, welche Maßnahmen eine Gottheit gegen Krankheit empfiehlt.
Bildquelle: Günter Spitzing
Trancetanz »Ngurek« in Tenganan: Der Kris wird in der der Trance gegen die eigene Brust gerichtet. Dennoch entstehen keine Verletzungen, da er nicht in das verspannte Muskelfleisch eindringen kann.
Bildquelle: Günter Spitzing
Er tanzt den »Baris« zur Begrüßung der Gottheit Ratu Gede auf Bali. Dabei fallen er und sein Mittänzer in eine heftige Trance.
Bildquelle: Günter Spitzing
Trance während einer Prozession auf Bali.
Bildquelle: Günter Spitzing
Schrein von Ratu Gede geschmückt mit »saput poleng« Tüchern.
Bildquelle: Günter Spitzing

 

 

 

 

 

 

Günter Spitzing | Freier Schriftsteller, geb. 1931 in Bamberg. Er lebt in Hamburg, ist verheiratet und hat 2 Kinder.

 

Er hat sein Studium der Indonesistik, Religionsgeschichte und Ethnologie mit einer Magisterarbeit über die Ikonographie des Wayang (Schattenspiel) Sasak auf Lombok abgeschlossen.

 

Forschungsreisen u.a. nach Griechenland, Indien und Indonesien. Der Gründer und Leiter von Zukunft Irular e.V. hilft in Südindien Ureinwohnergemeinschaften zu überleben. Er erforscht ihre erhaltenswerte Kultur, sowie traditionelle Trance und Ethnopsychologie. Der Autor schrieb 75 Bücher, viele davon übersetzt. Es liegen Übersetzungen in 10 Sprachen vor.

 

Ratu Gede wird, begleitet von einer langen Prozession, zur See gebracht; Bildquelle: Günter Spitzing 

 

 

 

 

Günter Spitzing, Welt der Trance. Vom Sinn der Ekstase: Bali - Südindien - Brasilien, Shaker Media, 2017, 168 Seiten, 60 Abb., Paperback - ISBN 978-3-95631-548-0, 16,90 EUR

Vermutlich hat schon jeder von Trance gehört, doch was Trance bedeutet oder gar welchen Sinn es hat, bleibt vielen verborgen. Mit »Welt der Trance« möchte Günter Spitzing dies ändern und öffnet dem interessierten Leser einen Einblick in eine faszinierende Thematik. Dabei klärt er grundlegende Fragen zur Trance bevor er den Leser quer über den Globus nach Bali, Südindien und Brasilien führt, um ihm ausführlich in Worten sowie eindrucksvollen Bildern die spektakulären Geschehnisse zu schildern – alles, was er dort persönlich gesehen, gehört und miterlebt hat. Auch auf die heilende Wirkung von Trance wird dabei eingegangen.

 

Zumindest in der westlichen Welt ist Trance etwas befremdlich oder gilt als exotisch, doch weltweit ist Trance ein weit verbreitetes Phänomen. Und auch hier im Westen hatte vermutlich jeder zumindest schon mal eine leichte Form der Trance selbst erlebt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Kategorie: Landeskunde