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Maritime Archäologie 

Versunkene Schätze: Das maritime Kulturgut Indonesiens ist gefährdet

 

Indonesiens Gewässer sind reich an historischen Schiffswracks. Unterwasserarchäologen gehen davon aus, dass der Archipel weltweit zu den Regionen mit den meisten Wrackfunden gehört. Doch viele wurden geplündert oder zerstört. Das maritime Kulturerbe ist in Gefahr.

von Mai Lin Tjoa-Bonatz

 

Plünderungen am Meeresboden: Die Schatztaucher sind mit unzureichendem Tauchgerät ausgestattet; Bildquelle: Mai Lin Tjoa-Bonatz

 

 


 

Kriegsschiffe verschwanden auf mysteriöse Weise

 

Im November 2016 gingen Schlagzeilen um die Welt, dass fünf Schiffe der niederländischen und britischen Marine aus dem Zweiten Weltkrieg auf mysteriöse Weise in der Java See verschwunden seien. Obwohl die Kriegsschiffe unter das Denkmalschutzgesetz fallen und gerade als Grabstätte vieler Gefallener als Gedenkorte sind, wurden sie aufgrund ihres Materialwertes bis auf den letzten Nagel ausgeschlachtet. Die Untersuchungen mit Schallmessgeräten zeigen nur noch große Löcher am Meeresgrund, wo die Schiffe vermutet werden.

 

Dieser Vorfall beleuchtet ganz wesentliche Fragen: Warum sind diese monatelangen Bergungsunternehmen unentdeckt geblieben? Wie kann Indonesien seine Kulturgüter in der See überwachen und schützen?

 

Plünderungen

 

Andere Wrackstätten wurden wegen ihrer wertvollen Ladung an antiker Keramik und anderer Artefakte geplündert oder mit Dynamit gesprengt, um diese zu bergen und dann auf dem Antikmarkt gewinnbringend zu verkaufen.

 

Lokale Schatztaucher sind oft nur unzureichend mit lebensgefährlichen Tauchgeräten ausgestattet. Oftmals fehlen das Atmungsgerät und die Taucherflasche. Die Taucher werden lediglich über einen Gartenschlauch mit Luft versorgt, der ihnen verunreinigte Luft über einen dieselbetriebenen Kompressor vom Versorgungsboot zuleitet. Es sind lokale Fischer, die ihr mageres Einkommen auffrischen oder Taucher aus den Anrainer Staaten, die den internationalen Antiquitätenmarkt mit dieser heiß begehrten Ware versorgen. Sie sammeln alles Verwertbare vom Meeresboden – willkürlich und ohne Zusammenhang –, sodass der archäologische Fundkontext verloren geht, der gerade den reichsten Informationsgehalt für die Geschichtsforschung birgt.

 

Denkmalschutz

 

Alle historischen Wracks, die älter als 50 Jahre sind, fallen unter das indonesische Denkmalschutzgesetz und sind damit kulturelles Eigentum des Staates. Damit ist die Gesetzgebung Indonesiens weitgreifender als das UNESCO-Gesetz zum Schutz des maritimen Kulturerbes, das 100 Jahre als Limit ansetzt. Aber die Umsetzung des Denkmalgedankens ist ein schwieriger Prozess, der nicht nur von administrativen Hürden, fehlendem technischem »know-how« oder strittigen Verwaltungskompetenzen behindert wird sondern auch ideologisch-politisch instrumentalisiert wird. Ganz klar spielen auch materielle Verwertungsinteressen mit. Für gut dokumentierte aber eben daher langwierige Unterwassergrabungen fallen immense Kosten an, die die Bergungsunternehmen ohne staatliche Unterstützung aufbringen müssen. Manche Unterwasserstätten werden, noch bevor eine Bergung stattfinden kann, jahrelang von Investoren mit Wachschutz bewacht.

 

Um neue Denkmalschutzgesetze zum Schutz des maritimen Kulturerbes zu erarbeiten und Einhalt gegen kommerzielle Bergungen zu gebieten, wurde im April 2011 ein Moratorium erlassen, das bis Ende 2016 alle Bergungen und Surveys untersagt hat. Doch dieses Moratorium hat die zunehmenden Plünderungen in den Meerestiefen nicht stoppen können – im Gegenteil.

 

Wie viele historische Schiffwracks gibt es wirklich?

 

Ein Gremium aus vier Regierungsinstitutionen hat im Jahr 2004 nur 463 Schiffe geortet, die im Zeitraum von 1400 bis 1900 untergegangen sind. 2010 hat die Kulturabteilung für Unterwassererbe die offizielle Zählung immerhin auf 1234 historische Schiffe in Indonesiens Gewässern angehoben. Allein schon diese Schätzungen wecken Interessen und Forderungen verschiedenster Interessensgruppen, wenngleich diese Zahlen nicht annährend den Gesamtumfang an gesunkenen Kulturgütern widerspiegeln.

 

Sechzig Prozent des indonesischen Territoriums sind Seeräume. Die Küstenstreifen umfassen 81.000 km², hinzukommen Flüsse und Seen, in denen Schatztaucher nur zu oft antike Kunstobjekte finden. Die Geografie und die lange Geschichte Indonesiens als Seefahrernation lassen vermuten, dass es noch viel mehr Kulturgüter auf dem Meeresgrund zu entdecken gibt.

 

Meereserkundungen im Riau Archipel haben aufgezeigt, dass dort mehr als doppelt so viele historische Wracks gesunken sind, als offiziell dokumentiert ist. Diese Gewässer waren häufig befahrene Seestraßen innerhalb des regionalen Seeverkehrs des Archipels, aber auch innerhalb der international genutzten Seewege zwischen dem indischen und dem südchinesischen Meer. Es sind aber auch gefahrenträchtige Regionen mit Untiefen und Riffen, die vielen Schiffspassagen zum Verhängnis wurden. Ein Beispiel ist das chinesische Schiff Tek Sing, das vollkommen überladen im Jahr 1822 mit fast 2000 Passagieren in der Straße von Bangka untergangen ist. Dessen keramische Ladung von sagenhaften 350.000 Stück wurde in Stuttgart im Jahr 2000 für rund 11.500 EURO versteigert.

 

 

Plünderungen am Meeresboden: Die Schatztaucher sind mit unzureichendem Tauchgerät ausgestattet
Bildquelle: Mai Lin Tjoa-Bonatz
Chinesische Scherbe aus dem 16. oder 17. Jahrhundert am Meeresgrund
Bildquelle: Arqueonautas Worldwide
Überreste eines Wracks von der gesunkenen Ternate Flotte von 1650, Sulawesi
Bildquelle: I. Bryson-Haynes
Erkundungstauchgang mit Magnetometer zur Sichtung der Überreste der Ternate Flotte, Sulawesi
Bildquelle:I. Bryson-Haynes, T. Foerster
Kanonenkugeln von der Ternate Flotte aus dem Jahr 1650, Sulawesi
Bildquelle:I. Bryson-Haynes
Archiveintrag über das Schiffsunglück von 1649-50
Quelle: Groetboek en Journal, Nationaal Archief, Den Haag, Verenigde Oostindische Compagnie (VOC), NL-HaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 5282
Route der Expedition im April/Mai 2016 zur Auffindung der Ternate Flotte, die 1650 sank
Quelle: I. Bryson-Haynes, H. Liebner

 

 

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Indonesien als Seefahrernation

 

Seefahrer aus dem indonesischen Archipel haben mindestens seit der Zeitenwende eine wichtige Rolle im internationalen maritimen Handelsverkehr zwischen dem Pazifik und den Indischen Ozean gespielt. Frühe Goldfunde und Keramik, die in Nordbali ausgegraben wurden, verweisen bereits auf Handelskontakte mit Indien seit dem späten ersten vorchristlichen Millennium. Die ältesten archäologische Bootsfragmente in Indonesien reichen bis ins frühe erste nachchristliche Millennium zurück und belegen, dass bereits in diesen frühen Zeiten weitreichende Seehandelsbeziehungen nach West Asien, China oder Indien bestanden. Die Schiffe exportierten Gewürze, Gold und Tropenprodukte aus Indonesien, wogegen Handelsgüter wie Keramik und andere Luxuswaren eingehandelt wurden. Indonesien liegt an der meist befahrensten Seehandelsroute zwischen Ost- und Südasien. Abhängig von den Gezeiten der Monsunwinde, mussten die Schiffe in indonesischen Gewässern Station einlegen, da sie nur halbjährig je nach Windrichtung entweder nach Osten oder nach Westen segeln konnten.

 

Der Schiffsbau in der Inselwelt hatte bereits früh hochseetaugliche Segelschiffe entwickelt, die nicht Metall- sondern nur Holzdübel verwendeten und die Schiffplanken mit Palmfasern vernähten. Die ersten Bootsfunde in dieser Technik stammen aus dem 7. Jahrhundert und wurden auf Java und Sumatra gefunden. Erst seit dem 15. Jahrhundert kamen verstärkt auch chinesische und seit dem 16. Jahrhundert europäische Handelsschiffe in die indonesische Seewelt.

 

In der Zeit, in der die ersten Europäer die südostasiatischen Gewässer bereisten, entstand der landläufige Begriff »Dschunke«. Dieser Ausdruck bezeichnete vorrangig nur die indigenen Schiffe des Inselarchipels, die die Portugiesen in diesen Meeren im 16. Jahrhundert als »junco« beschrieben und daher in alle Munde brachten. Erst später wurde dieser Schiffstyp auch auf chinesische Schiffe übertragen. Uneinig sind sich die Sprachwissenschaftler allerdings, ob der Begriff ursprünglich aus dem Malaiischen oder dem Chinesischen übersetzt wurde. Aus dem Portugiesischen entlehnt, hat sich der Begriff »Dschunke« dann wohl über die englische Sprache auch im Deutschen eingebürgert.

 

Die gesunkenen Schiffe geben daher nicht nur detaillierte Informationen zum Seehandel, dem Schiffsbau und zu den verschifften Gütern sondern sind eine einzigartige Quelle zum Alltagsleben und der Kulturgeschichte.

 

Neue Entdeckungen

 

Archivmaterial und Ultraschallerkundungen sind der erste Schritt, um untergegangene Schiffe aufzuspüren. Auf diese Weise gelang im Mai 2016 ein spektakulärer Fund: Die Ternate Flotte wurde entdeckt, die 1650 auf dem Weg zu den Gewürzinseln vor der südöstlichen Küste Sulawesis gesunken ist. Unterstützt von Arqueonautas Worldwide und in Kooperation mit der Gesellschaft zur Rettung von Kulturerbe e.V. (ASUCH Hamburg) konnte eine erste Expedition zur Erkundung finanziert werden, die wegweisend nun weitere Forschungsmöglichkeiten zu einer höchst spannenden Havarie und deren Bergung eröffnet.

 

Fünf Schiffe der niederländischen Handelskompagnie strandeten auf einem Riff westlich der Insel Kabaena. Erstaunlicherweise konnten sich 600 Seeleute retten und bauten innerhalb von zwei Monaten aus den Resten ihrer Flotte einen neuen Segler, um ihre Habe zu bergen und zurück nach Jakarta, damals Batavia, zu schiffen. Die niederländischen Quellen berichten, dass die Schiffbrüchigen fruchtbare diplomatische Kontakte zum nahegelegenen Sultanat Buton auf der gleichnamigen Nachbarinsel knüpften, die förderhin die politische Landschaft der Region prägen sollten. Das Sultanat auf Buton, die der Küste des südöstlichen Sulawesis vorgelagert ist, hatte seinen Sitz in Bau-Bau und war strategisch von großer Bedeutung für die Niederländer auf ihrem Weg zu den Gewürzinseln. Durch archäologische Funde ist nun bewiesen, dass die gestrandete Mannschaft der Ternate Flotte wohl wirklich die allerersten Westler auf der Buton Insel waren, die zumindest für einige Zeit hier Bleibe fanden. Dieses Ereignis in der Geschichte der Seefahrerei wäre in Vergessenheit geraten, wenn nicht Wrackfunde ganz konkret die archivalischen Quellen zum Sprechen gebracht hätten, um so den Schauplatz der Geschichte greifbarer zu machen.

 


Literatur zum Weiterlesen:

 

Umfassende Literaturliste zu Indonesien vom Marinearchäologen Mike Flecker siehe maritime-explorations.com/publications

Y. Manguin: The Southeast Asian Ship: An Historical Approach. Journal of Southeast Asian Studies Sept. 1980, 266 –276.

Tjoa-Bonatz: Archäologie in Indonesien. Geplündertes Kulturerbe, in: Unterwasser 3/2017, 80–85.

Tjoa-Bonatz: Struggles Over Historic Shipwrecks in Indonesia. Economic Versus Preservation Interests. In: B. Hauser-Schäublin, L. V. Prott (Hg.), Cultural property and contested ownership. The trafficking of artefacts and the quest for restitution. New York: Routledge 2017, 85107.

Tjoa-Bonatz: Versunkene Zeitkapseln: Schiffswracks sind ein gefährdetes Kulturgut. In M. Tjoa-Bonatz, A. Reinecke (Hg.), Im Schatten von Angkor. Archäologie und Geschichte von Südostasien. Darmstadt: von Zabern 2015, 140.

 

 

Kategorie: Wissen