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Pramoedya Ananta Toer

Zum zehnten Todestag des Verfassers der Buru-Tetralogie

Von der Wirkkraft der Literatur

 

Vor zehn Jahren, am 30. April 2006, starb in Jakarta Pramoedya Ananta Toer, stolz auf sein Werk, aber enttäuscht von der Entwicklung seines Landes.

von Martina Heinschke

 

Animation auf der Frankfurter Buchmesse | Bildquelle: Jörg Huhmann

  

Pramoedya Ananta Toer

Zum zehnten Todestag des Verfassers der Buru-Tetralogie

Von der Wirkkraft der Literatur

 

Vor zehn Jahren, am 30. April 2006, starb in Jakarta Pramoedya Ananta Toer, stolz auf sein Werk, aber enttäuscht von der Entwicklung seines Landes.

von Martina Heinschke

 

Animation auf der Frankfurter Buchmesse | Bildquelle: Jörg Huhmann

  

Seite 1 | Pramoedya Ananta Toer

 

Vor zehn Jahren, am 30. April 2006, starb in Jakarta der Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer – als freier Mensch, aber nicht rehabilitiert. Unter drei verschiedenen politischen Systemen hatte er die Gefängnisse seines Landes kennengelernt, am längsten während des Suharto-Regimes. Im Verlauf des blutigen Machtwechsels war er im Oktober 1965 verhaftet worden und blieb dann 14 Jahre ohne Gerichtsverfahren zuerst in Gefängnissen auf Java und seit 1969 in der berüchtigten Strafkolonie auf Buru inhaftiert. Als auf internationalen Druck hin fast alle der anfänglich Zig-Tausenden politischen Gefangenen freigelassen wurden, gehörte er zur letzten Gruppe, die im Dezember 1979 das Straflager verließ. Bis zum Ende des Suharto-Regimes folgten Haus- und Stadtarrest sowie das Verbot aller Veröffentlichungen. Im eigenen Land verfemt, wurde Pramoedya dennoch zur eindringlichsten Stimme Indonesiens in der Weltliteratur. International zollte man ihm Bewunderung für seine Werke, für deren Klarsicht, Imagination und berührenden Stil, aber auch für die Umstände ihres Entstehens unter den Bedingungen der Haft.

 

Romane aus der Strafkolonie und ihr neuer Blick auf die Geschichte

 

Pramoedyas Hauptwerke sind Botschaften aus dem Gefängnis, Appelle, dass die Gesellschaft verändert werden muss. Das gilt auch für die auf Buru entstandenen historischen Romane. Am berühmtesten unter ihnen wurde die Tetralogie Bumi Manusia – Garten der Menschheit (1980, dt. 1984 bzw. 1987), Anak Semua Bangsa – Kind aller Völker (1980, dt. 1990), Jejak Langkah – Spur der Schritte (1985, dt. 1998) und Rumah Kaca – Haus aus Glas (1988, dt. 2003), die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im kolonialen Niederländisch-Indien spielt. Die Romanfolge erzählt vom Aufbruch zu neuen Ideen – das sind hier das Konzept einer indonesischen Nation und die Idee einer neuen gesellschaftlichen Ordnung, die die Prinzipien der französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, anerkennt. Die historischen Studien zu der Romanfolge hatte Pramoedya noch in Freiheit, Anfang der 1960er Jahre, begonnen. Es zeugt von einer enormen Gedächtnisleistung, dass er auf ihnen aufbauend ohne Zugang zu Quellenmaterial und unter den extrem schwierigen Lebensumständen der Lager von Buru hieraus Romane geformt hat, anfänglich als mündlicher Erzähler, da ihm vor 1973 das Schreiben untersagt war.

 

Mit seiner Hinwendung zur Geschichte Anfang der 1960er Jahre griff Pramoedya ein nationales Anliegen auf und gab ihm auf eigene Weise Gestalt. Seit Erlangung der Unabhängigkeit mehrten sich die Versuche, eine Geschichtsschreibung aus indonesischer Perspektive zu begründen, zumeist mittels Umschreibung der kolonialen Geschichtsbücher, indem man die Gegner der Kolonialherren in den Rang von Freiheitskämpfern erhob. Pramoedya hingegen schlug einen anderen Weg ein und versuchte, die Stimmen der Einheimischen in der Kolonie hörbar zu machen. Zusammen mit einer Gruppe von Studierenden der privaten Res Publica Universität durchstöberte er die Archive nach Zeugnissen der eurasischen und sinomalaiischen Presse wie auch der ersten einheimischen Journalisten. Er arbeitete dokumentarisch sauber, aber nicht nach den Prinzipien der Historikerzunft. Letztlich näherte er sich den entdeckten Texten genauso an, wie er als Schriftsteller der Welt begegnete: Er suchte die Auseinandersetzung mit den Quellen auf der Basis der eigenen Erfahrung und gelangte so zu einer alternativen Literaturgeschichte und zu einem neuen Konzept der indonesischen Nation.

 

Die Kolonialgesellschaft, die ihm in den Quellen begegnete und die er in der Buru-Tetralogie so detailreich und genau beschrieb, war eine multikulturelle Welt. Entgegen der kolonialen Segregierung der verschiedenen ethnischen Gruppen eröffnete in den urbanen Zentren die malaiischsprachige Presse einen Raum für Gemeinsamkeit, in dem sich Ansätze zu einem indonesischen Bewusstsein herausbilden konnten. Ein solcher Blick auf die Anfänge des indonesischen Nationalbewusstseins steht quer zu einer rassischen, kulturellen und sprachlichen Begründung der Nation. Es scheint eine Verwandtschaft mit Benedict Andersons Imagined Communities (1983, revidiert 1998) auf, der wiederum Pramoedyas Romanwerk in diesem Buch zur Illustration seiner Thesen heranzieht.

  

Seite 2 | Buru-Tetralogie

  

Ein Epos über die Entstehung der Nation

 

In seiner Tetralogie bindet Pramoedya die neue Idee der Nation an zwei Protagonisten: Der junge Adlige Minke ist anfänglich begeistert von den Chancen, die ihm die Kolonialmacht durch die Möglichkeit einer gymnasialen Schulbildung eröffnet, und ist begierig, an Wissen sowie technischem und sozialem Fortschritt teilzuhaben. Bald aber erfährt er die Grenzen, die einem Einheimischen in der Kolonie gesetzt sind, und er lernt, dass die ihm so überlegen erscheinenden Ideale der westlichen Zivilisation – Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit, Anerkennung von Leistung statt Rang durch Geburt – in der Kolonie außer Kraft gesetzt sind. Die zweite Hauptfigur ist Nyai Ontosoroh, eine einheimische Frau, die von ihrer Familie einem Weißen als Konkubine überlassen worden ist, die ihre Erniedrigung aber zu überwinden und sich bald auch ihrem Mann gegenüber zu behaupten weiß. Sie ist eine der vielen starken Frauenfiguren in Pramoedyas Werk, die er oftmals auch als Sinnbild für das Potenzial und die Widerständigkeit des einfachen Volks einsetzt. Eine lebendige Handlung führt Minke und Nyai Ontosoroh zusammen. Ihr gemeinsamer Widerstand gegen die Ungerechtigkeiten des kolonialen Systems wird zur Keimzelle eines nationalen Bewusstseins. Auch lernt Minke den Wert der malaiischen Sprache zu schätzen als ein wichtiges Instrument der Verständigung in der vielsprachigen Kolonie. Das Malaiische ist dabei nicht Zeichen gemeinsamer Herkunft, sondern verbindendes Medium aller Gerechtigkeit einfordernden Einwohner der Kolonie.

 

Am Beispiel Minkes, der sich in der Romanfolge vom Gymnasiasten zum ersten einheimischen Journalisten und Gründer politischer Organisationen entwickelt, zeigt Pramoedya beispielhaft, wie ein Einzelner die gesellschaftlichen Verhältnisse durch kritisches Hinterfragen erkennen und verändern kann. Minke, Nyai Ontosoroh und weitere Figuren sind ein Appell an die Leser, eine unübersichtliche Welt voller widersprüchlicher Erfahrungen und Zeichen gedanklich zu durchdringen und sich in ihr zu positionieren. Sie treten für das von ihnen als richtig Erkannte ein und verlieren die eigenen Ideale auch angesichts von Schwierigkeiten nicht aus dem Blick.

 

Wie fast in allen Romanen Pramoedyas folgen auf den Aufbruch Enttäuschung und Scheitern. Der Kolonialmacht gelingt es, Minke zu isolieren und schließlich zu liquidieren. Auch die von Minke initiierte politische Bewegung ist nicht frei von Kurzsichtigkeit, Eigeninteressen, teils auch Verrat. So ist es möglich, dass sie schrittweise von der Kolonialmacht domestiziert wird. Die radikal-demokratischen Anfänge der Nationalbewegung verwischen sich. Für Pramoedya liegt hier eine Antwort auf die Frage, warum sich in Indonesien die Erneuerungsversprechen der Unabhängigkeit nicht erfüllt haben.

 

Seite 3 | Die Wirkung von Literatur in einer engen Welt

  

Die Wirkung von Literatur in einer engen Welt

 

Nach dem Willen des Suharto-Regimes sollten die ehemaligen politischen Gefangenen nach der Haftentlassung in der Gesellschaft unsichtbar sein. Sie und ihre Familie unterlagen diversen Beschränkungen. Zugleich wurde die ideologische Unterweisung der Bürger forciert, um sie gegen abweichendes Gedankengut zu immunisieren. Pramoedya wehrte sich gegen seinen Status als Unperson. Zusammen mit Hashim Rachman und Jusuf Ishak gründete er den Verlag Hasta Mitra und veröffentlichte die in Buru verfassten Romane. Auf das Erscheinen der ersten beiden Bände der Tetralogie 1980, kaum ein halbes Jahr nach der Rückkehr aus der Strafkolonie, reagierte die Öffentlichkeit überrascht und neugierig. Es gab Bewunderung für diese erstaunliche Produktivität und die lebendige, neue Darstellung der Geschichte. Die Zensur tat sich schwer und fand fadenscheinige Begründungen für das bald erlassene Verbot. Heimlich kursierten die Romane weiter. Übersetzungen in viele Sprachen machten Pramoedya zur dominierenden Stimme Indonesiens im internationalen Literaturkonzert.

 

Gegner Pramoedyas kamen nicht nur aus den direkten Zirkeln der Macht. Mit etlichen Schriftstellerkollegen hatte der jetzt international gefeierte Autor in den 1960er Jahren scharfe Polemiken ausgetragen. Die Gräben der alten Auseinandersetzung bestanden auch zwanzig und dreißig Jahre später oftmals noch fort.

 

Anders reagierte eine jüngere Leserschaft. Insbesondere Schüler und Studenten waren von Pramoedyas Romantetralogie tief beeindruckt und nahmen den Aufruf zum Einsatz für eine sozial gerechte, demokratische, moderne Gesellschaft auf. Sie erkannten bei der Lektüre die Parallelen zwischen kolonialem Staat und Suhartos Neuer Ordnung und die Verankerung beider Systeme im Machtgefüge des globalen Kapitalismus. Für sie wurden der Autor und seine Romanfiguren Vorbilder für Klarsicht, Unbeugsamkeit und Mut. Es bildeten sich Lesezirkel, die Pramoedyas Romane diskutierten und weitergaben. Das geschah im Geheimen und nicht ohne Risiko: 1988 wurden zwei Studenten in Yogyakarta deshalb zu hohen Haftstrafen verurteilt. Trotzdem verloren Pramoedyas Bücher nicht an Anziehungskraft. Heutige Schriftsteller und Aktivisten erinnern immer wieder daran, wie sie Pramoedyas Bücher damals geradezu verschlangen. Mit den Jahren wuchs die Zahl kritischer Studenten, die den direkten Kontakt zu ihrem Idol suchten. Für viele wurde Pramoedya eine politische und moralische Leitfigur; andere wie Eka Kurniawan überzeugten seine Texte von der Kraft der Literatur, die Menschen »zum Denken zu bringen«.

 

Der Bazillus der Widerständigkeit

 

Ein Teil der Verehrer Pramoedyas sammelte sich in der Partai Rakyat Demokratik (PRD), einer Partei des demokratischen Sozialismus, die aus Kreisen der Suharto-kritischen Studentenschaft hervorging, das Regime durch vehemente Kritik herausforderte und entsprechend rigoros verfolgt wurde. Mit großen Hoffnungen auf ihre verändernde Kraft schloss sich Pramoedya dieser Gruppe an. Ähnlich wie in 1945, zur Zeit der Proklamation der Unabhängigkeit, setzte er auf die Jugend als erneuernde Kraft. Das Engagement von PRD-Aktivisten für die Arbeiter- und Bauernschaft, ihre Bereitschaft, für ihre Ideale ins Gefängnis zu gehen, machten diese Aktivisten zu den Hoffnungsträgern Pramoedyas. Ihre scharfe Kritik an Korruption und Nepotismus, der Einspruch gegen Menschenrechtsverletzungen und die Forderung nach einem Ende der Straflosigkeit liefen parallel zu Pramoedyas Beharren auf Aufarbeitung des 1965 geschehenen Unrechts und einer politischen und kulturellen Erneuerung in Abkehr vom konsumorientierten Lebensstil, der in der Suharto-Zeit weithin Fuß gefasst hatte.

 

Der Übergang in die Demokratie brachte politischen Wandel, aber nicht einen derart radikalen Neuanfang. Bei den ersten freien Wahlen nach Suhartos Rücktritt fand die PRD wenig Zustimmung. Statt ihrer gewannen mit dem politischen Islam und regionalen Interessen in den folgenden Jahren auch andere Bewegungen an Bedeutung, und die alte Elite ging neue Bündnisse ein. In der neuen Unübersichtlichkeit gehen Pramoedyas Bewunderer heute literarisch und politisch eigene Wege. Vielen ist er weiterhin Vorbild für kritisches Denken, für die Wahl einer eigenen Position, die Bereitschaft zu ihr zu stehen und den Willen, sich dieses Recht niemals nehmen zu lassen.

Indonesien Magazin Online

 

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